Internationale Winterschulen – die Tradition lebt weiter

Vor zwei Jahren wurde zum ersten Mal die Internationale Winterschule der Finno-Ugristik veranstaltet, im Rahmen eines Erasmus-Intensivprogramms und in Wien. Die Idee war brutal einfach; jetzt, im Nachhinein, fragt man sich, wieso niemand früher darauf gekommen war, die knappen Ressourcen der kleinen finnisch-ugrischen Universitätsinstitute zusammenzubündeln. Im Rahmen von einer gemeinsamen Lehrveranstaltung kann man einer größeren Gruppe von Studierenden solche Inhalte – Spezialkurse, kleine finnisch-ugrische Sprachen evtl. mit Unterstützung von muttersprachlichen Lehrkräften – anbieten, die sich kleine Institute nicht immer leisten können. Außerdem kommen Studierende aus vielen Universitäten und Ländern zusammen, können einander kennenlernen und neben der internationalen Vernetzung auch die konkrete Kooperation z.B. im Rahmen von Gruppenarbeiten üben.

München 2015: Michael Rießler beginnt den Kurs des Kildinsaamischen, im Hintergrund einige Wiener Gesichter.

München 2015: Michael Rießler beginnt den Kurs des Kildinsaamischen, im Hintergrund einige Wiener Gesichter.

Eigentlich war die Wiener Finno-Ugristik schon früher an etwas ähnlichen Kooperationsprogrammen beteiligt gewesen. Im Rahmen von einem früheren Erasmus-Netzwerk von hungarologischen und finnougristischen Instituten fanden in den 1990er und in den Nullerjahren Erasmus-Intensivprogramme statt, mit breiten interdisziplinären (und oft eher kultur- und literaturwissenschaftlichen) Themen. Die zwei ersten Internationalen Winterschulen, organisiert von der Wiener Finno-Ugristik (auch wenn im Jänner 2014 die Winterschule physisch in Szeged stattfand), hatten einen deutlicher finnougristischen und sprachwissenschaftlichen Schwerpunkt. Das Programm bestand aus Sprachkursen in „kleinen“ finnougrischen Sprachen (2013 waren es Nordchantisch und Nganasanisch, 2014 Nenzisch und Marisch, auch das weniger unterrichtete Bergmarisch) und thematischen Workshops zu verschiedenen Teilgebieten der Sprachwissenschaft und technischen Fähigkeiten (so wie wissenschaftliches Schreiben oder Erstellen von Posters). Mit der Projektfinanzierung wurde es auch möglich, externe „Gurus“ einzuladen, so wie Peter Austin (SOAS London), der gemeinsam mit den eigenen Leuten der Teilnehmerinstitute einen Workshop über Dokumentation von gefährdeten Sprachen hielt.

Die zweiwöchigen Winterschulen (eine Mindestdauer von 10 Arbeitstagen wurde vom Erasmus-Rahmen vorausgesetzt) verlangten viel Arbeit, Logistik und Engagement, entwickelten aber auch ihre eigene soziale Dynamik. Vulgo: es machte Spaß!

Hello Kitty, nordchantisch gestylt

Hello Kitty, nordchantisch gestylt von unseren KollegInnen in Szeged

Nach 2014 änderte sich das Erasmus-System, und Intensivprogramme nach dem alten Konzept werden im neuen Erasmus+-Rahmen nicht mehr gefördert. Nach den guten Erfahrungen wollten wir trotzdem nicht aufgeben. Es wird ja immer deutlicher, dass kleine Disziplinen und Fächer nur mit Hilfe von internationalen Kooperationen, als Teil von internationalen Netzwerken, die Entscheidungsträger von ihrer Nützlichkeit überzeugen und überhaupt überleben können. Außerdem: die Winterschulen machen weiterhin Spaß!

Die heurige Winterschule wurde also auf Patchwork-Basis finanziert: Alle Teilnehmerinstitute trieben das Geld für die Reise- und Unterkunftskosten von ihren Studierenden aus ihren eigenen Quellen auf, und die Lehrkräfte unterrichteten gratis, aus Liebe zur Kunst. Finno-Ugristik macht man ja sowieso nicht aus Geldgier sondern aus Begeisterung! Diesmal dauerte die Winterschule „nur“ eine Woche, vom 9. bis 14. Februar. Dafür hatten wir zwei neue Partnerinstitute an Bord: zusätzlich zu Wien, München, Hamburg, Szeged, Helsinki und Tartu, die schon an den ersten zwei Winterschulen teilnahmen, waren heuer auch Studierende und Lehrende aus Turku und Uppsala dabei.

Die ProfessorInnen Sirkka Saarinen (Turku) und Rogier Blokland (Uppsala)

Die ProfessorInnen Sirkka Saarinen (Turku) und Rogier Blokland (Uppsala)

Standort in diesem Jahr war München, wo das Institut für Finno-Ugristik/Uralistik heuer sein 50jähriges Bestehen feiert; aus diesem Anlass wurde auch für die TeilnehmerInnen der Winterschule ein kleiner Empfang veranstaltet, mit gutem ungarischen Wein (Spende des ungarischen Konsulats).

Die Gastgeberin, Frau Prof. Elena Skribnik, eröffnet die 50jahresfeier

Die Gastgeberin, Frau Prof. Elena Skribnik, eröffnet die 50jahresfeier

Im Programm waren ein Kurs des Kildinsaamischen (von Rogier Blokland aus Uppsala und Michael Rießler aus Freiburg), ein Workshop über Korpuslinguistik (mit zwei Gastlehrenden, Hans-Jörg Schmid aus München und Martin Hilpert aus Neuchâtel in der Schweiz, über Skype und, letztendlich, YouTube), Vorlesungen über Etymologie, und nach bewährter Tradition ein Kolloquium mit Präsentationen von Studierenden und DoktorandInnen.

Selbstverständlich wollen alle Beteiligten die Kooperation fortsetzen. Momentan wird fieberhaft an einem Erasmus+-Antrag gearbeitet. Wie gesagt, werden Intensivprogramme nach dem alten Modellen nicht mehr gefördert, möglich aber ist ein internationales Kooperationsnetzwerk, das nicht nur Winterschulen nach dem bisherigen Konzept sondern auch gemeinsame eLearning-Kurse und Lehrendentreffen beinhalten würde. Die Finno-Ugristik ist sowieso international, die Frage lautet nur, ob es die guten Leute in Brüssel auch verstehen werden. Wir hoffen das Beste.

(Weitere Photos gibt es hier, sowie auf der Facebook-Eventseite.)

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